John Maynard Keynes

The analysis was in terms of a single national economy. What is desperately needed now is a rewrite in terms of the world economy." (John Maynard Keynes's General Theory of Employment, Interest and Money, 1936)

Donnerstag, 1. Mai 2014

Die Rolle der EU und der ukrainische Staatszerfall


Es ist ein historisches Ereignis in unmittelbarer geographischer Nähe: der Staatszerfall der Ukraine setzt sich fort. Am 21. Februar wurden Neuwahlen vereinbart, dieser mit internationaler Unterstützung erzielte Vertrag hielt nur wenige Stunden. Seitdem hat die Ukraine ein Teil ihres Territoriums, die Krim, wohl für immer verloren. Inzwischen entgleitet auch die Kontrolle der Regierung über den Südostens. Die Wahlen am 25. Mai, auf die die EU große Hoffnungen setzt, sind gefährdet, damit die Aussicht einer legitimen Regierung.

Die Rhetorik der EU und Russlands läuft ungemindert weiter. Das Genfer Abkommen wird von allen Beteiligten unterschiedlich interpretiert und geschlossen nicht eingehalten. Russland zündelt rhetorisch und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mit Sonderkräften vor Ort. 


Wie die Diskussion im ARD am 30. April zeigt, sieht sich Deutschland nach wie vor im Recht, der Bitte der ukrainischen Regierung entgegen zu kommen, um Militärmissionen zu senden und die eigenen Handlungen mit den Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, dem Völkerrecht  und die territoriale Integrität zu begründen. Formell richtig.


In einem Staatszerfall wirken andere Kräfte und besteht eine Eigendynamik, die von einem Punkt ab von keinem der Parteien mehr kontrolliert werden kann. Staatszerfall ist der politische GAU, bei der das Fundament einer Gesellschaft zerstört wird.  Die territoriale Integrität und das Völkerrecht sind nur so stark, wie es von handlungsfähigen Akteuren durchgesetzt werden kann. Mit dem Reiten auf Prinzipien außerhalb des historischen Kontextes wird die EU selbst zur Partei und leistet, mindestens indirekt, einen Beitrag zur Destabilisierung.


Wie sehen die Maßnahmen zur Stabilisierung der Ukraine aus? Details vom IMF-Programm (FAZ) sind kaum bekannt, insbesondere bei der anspruchsvollen Abfolge von Subventionskürzungen und sozial flankierenden Maßnahmen. Im Raum stehen Kürzungen der Subventionen für Energieträger und der Renten um das doppelte Defizit im Haushalt und der Leistungsbilanz zu verringern. Die Deutsche Beratergruppe Ukraine fordert mit der „Economic Reform Agenda Ukraine“ im März 2014 „harsche und unpopuläre Maßnahmen“. Diese Maßnahmen sind das Gegenteil der Renten- und Lohnerhöhungen auf der nun russischen Krim und würden eine fragile Situation weiter destabilisieren. 


Die aus meiner Sicht bisher überzeugendste Roadmap formulierte Larry Summer:



First, immediate impact is essential. New governments will not last unless they deliver results that are felt on the ground. Conditions on assistance need to recognize political as well as economic reality. Resources must be delivered in a front-loaded way, where their impact is immediately visible.
For example, strengthening safety net programs and support for new businesses need to lead — not lag — the removal of subsidies. Too often the international community sets economically rational conditions that are more than the political process can bear, then fails to move aid and blames the country for its bad policies. This is surely a time for political concerns to trump technocrats’ fears.

Second, avoid “Potemkin money.” A combination of media excitement, recipients’ desire to maximize support and donors’ desire to appear visionary usually leads to the announcement of huge assistance packages, based on indiscriminate totaling of all project flows of all kinds. The result is disappointment followed by disillusionment, as recipients realize that not all assistance can materialize quickly or meet urgent local needs.
Remember, the Marshall Plan was announced without any figures or fact sheets. The goal for Ukraine should be to under-promise and over-perform in the months ahead.

Third, be realistic about debts. Ukraine’s debt-income ratio is relatively low compared to the crisis countries of the European periphery, so encouraging full debt service may have benefits in terms of financial stability and maintaining existing fund flows that make it worthwhile. However, in light of the fact that private creditors of Ukraine have for years received risk premiums of 500 basis points or more suggests careful consideration should be given to rescheduling or restructuring Ukraine’s debts
As with Poland after the Berlin Wall fell in 1989, debt relief can provide a strong signal of political support. In working through past debts, though, the international community needs to be careful about setting the stage for future problems by relying on debt finance rather than direct grants for projects where the benefits are non-pecuniary or the costs continuing.

Fourth, honest management is as critical as prudent policy. Traditionally, international financial institutions’ focus has been on imposing conditions that go to the quality of policy. It is now understood, however, that the diversion and theft of public resources is a major source of poor economic performance. The international community should do everything it can to recover ill-gotten gains from former Ukrainian officials and put in place procedures that will prevent future fund diversions. The benefits here are both significant in narrow economic terms and salient in political terms.

Fifth, countries need to pursue broad polices in a way that benefits Ukraine. For example, Congress needs to bring the United States along with the rest of the world and approve full IMF funding if Washington is to maintain its leadership role with respect to financial crises. Ukraine’s economic strength and autonomy would also improve if the United States were to permit natural gas and crude oil exports.

Keiner der beteiligten Parteien ist willig oder fähig, Kompromisse einzugehen. Ein mutiges - und genauso politisch unrealistisches - Zeichen der EU wäre es, ein mit dem IMF vergleichbares Hilfspaket in die Hand zu nehmen oder die Interessen Russland -richtig oder nicht, das spielt keine Rolle - anzuerkennen und auf den Vorschlag einer föderalen und neutralen Ukraine nach dem Vorbild Finnlands einzugehen.


Alle Seiten nutzen ein Taumeln am Abgrund, um die eigene Position zu verbessern. Das Kräfteziehen geht unvermindert weiter. Eine Wendepunkte zur Stabilisierung hat noch nicht eingesetzt. Es sieht vorerst nicht gut aus für die Ukraine. 


Update 3 Mai 2014: 

1. Als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen kann man sich dem anschließen: Alongside Russian interference, the conflict in eastern Ukraine is also the result of serious mistakes by Kyiv and the West
Im "The Guardian": "It is not Russia that's pushed Ukraine to the bring of War mit einer vernichtenden" wird die Verantwortung für die Zuspitzung der ukrainischen Staatskrise eher dem Westen zugeordnet. 

2. Die Ukraine ist ein zerfallendes Land. Es gibt keine einfachen Regeln, wie dies zu ändern ist. Jede Aktivität ist ein extremer Balanceakt mit tiefen Abgründen auf allen Seiten. So sind beispielsweise die Heizkosten nicht kostendeckend und tragen zu einem Haushaltsdefizit von 12 % bei, Sie sollen im Rahmen der IMF Maßnahmen um 40 - 55 % in diesem Jahr erhöht werden. Zwar sind kompensierende Maßnahmen geplant, so dass der Kostenanteil von Heizkosten von gegenwärtig 3- 7 % auf nur 5 - 11 % steigen soll, aber es ist unklar, ob die Bürokratie dazu in der Lage ist, Auszahlungen korruptionsfrei vorzunehmen und Härtefälle zu identifizieren. Es ist ein Spiel mit dem Pulverfass. Zu den politischen Risiken der IMF Kreditvergabe schreibt das Wall Street Journal hier (gated).


Update 15. Mai
Schritt bei Schritt ändert sich der politische Konsensus und die Berichterstattung der Medien. 
Slate: "The right goal in Ukraine. The real test is stabilizing the Ukraine."


Weitere Literaturhinweise

1. Francis Fukuyama:  What is governance? Ein gute Einführung in die Komplexität von "guter Regierungsführung" in entwickelten Staaten und Entwicklungsländern und die damit verbundenen Herausforderungen bei einem drohenden Staatszerfall  
2. Wenn Staaten scheitern: Theorie und Empire  des Staatszerfalls. Ein Sammelband mit dem Stand der Forschung vom Jahre 2007.  
3. The lure of state failure. A critique of State Failure Discourse in World Politics. International Journal of postcolonial studies. 2013.
4. http://www.laender-analysen.de/ukraine/ Nr. 131 vom 08.04.2014: Kam die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen zu früh? 



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