Der „Economist“
wies zuerst auf das Phänomen der Holländischen
Krankheit hin, der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit nachdem an der Küste umfangreiche
Gasvorkommen gefördert wurden. Mit der Nationalisierung der Förderung von Erdöl
und Erdgas in den 1960-er Jahren in Entwicklungsländern weitete sich das
Phänomen aus. Der Ressourcenfluch befällt Länder, die anscheinend ausreichend
Mittel für die Modernisierung und Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit haben,
deren Wachstum und gesellschaftliche Entwicklung aber nicht oder nur sehr
unzureichend auf die neu gewonnenen Möglichkeiten reagiert.
Die Mechanismen
sind inzwischen mannigfaltig beschrieben: Die hohe, anstrengungslose
Wertschöpfung wertet alle anderen Aktivitäten gesellschaftlich ab. Der Export
von Rohstoffen erhöht den Wert der Währung auf, was den Import verbilligt und
den Export erschwert. Der Rohstoffsektor saugt Talent, Ressourcen und
politisches Kapital vom Rest der Wirtschaft und unterminiert ihre Dynamik. Wohlstandswachstum
durch Förderung der Rohstoffe ist einfacher als durch Wettbewerbsfähigkeit durch
politisch anspruchsvolle und riskante Strukturreformen. Die Volatilität von
Rohstoffpreisen und die Abhängigkeit von den Weltmärkten gibt dem kurzfristigen
Denken Vorschub und schwächt Anreize für den langwierigen Aufbau von
Institutionen und Humankapital. Im jeweiligen Kräftegleichgewicht der
politischen Kräfte verstärken sich Asymmetrien. Das nüchterne Resultat ist, dass
rohstoffreiche Länder nicht oder nur sehr wenig schneller wachsen als
rohstoffarme.
Bei einem
schwachen Staat wie in Entwicklungsländern kann Korruption und Misswirtschaft
die Überhand gewinnen. Nigeria ist das klassische Negativbeispiel, wie
Ressourcenreichtum ein Land ruinieren kann. Aber selbst ein positives
Ausnahmeland wie Botswana fand keine adäquate institutionelle Antwort auf die
HIV- Epidemie und musste ein Jahrzehnt Wohlstandszuwachs abgeben. Saudi-Arabien,
als globaler Swing-Produzent ein strategischer Partner des Westens, konserviert
ein neofeudales Gesellschaftsmodell, den Wahabismus. Venezuela finanziert seine
Experimente zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts und ruiniert damit die
Grundlage seines Reichtums, die Erdölförderung. Die Mongolei, ein kleines, demokratisches
Steppenvolk zwischen den autoritären Giganten Russland und China, wagt mit
ungewissem Ausgang den größten Sprung, von der Naturalwirtschaft direkt in die
Moderne und vom Nomadentum in die Urbanität.
Weitere Aspekte
sind prägend. Pauline Jones Luong und Erika Weinthal zeigen in ihrem Buch “Oil Is Not a Curse: Ownership Structure and Institutions in Soviet
Successor States” auf wie unterschiedlichen Pfaden sich rohstoffreiche
Volkswirtschaften von einer gemeinsamen Grundlage entwickeln – ohne dass sie
sich vom Ressourcenfluch lösen können. Auch lässt sich der Ressourcenfluch
innerhalb eines Landes aufzeigen. Die westlichen Gemeinden in den
US-Bundesstaaten Colorada, Montana, New Mexiko, Norddakota, Utah und Wyoming
durchlebten einen Öl- und Gasboom mit überdurchschnittlichen Zuwachsraten bei
der Beschäftigung und den Einkommen und einer negativen Korrelation beim
Pro-Kopf-Einkommen, der Kriminalitätsrate und dem Bildungsniveau (paper).
Inzwischen ist
eigener Gewerbszweig entstanden, der versucht, den Ressourcenfluch zu
kanalisieren und einzudämmen. Dazu gehören Instrumente wie Transparenz und
Lizenzen, etwas bei sogenannten Blutdiamanten,die International Corruption Hunters Alliance, die Extractive Industries Transparency Inititiative (EITT), Global Witness oder der Resource Governance Index. Erfolge sind sichtbar, können
aber wirtschaftliche Wirkungsgefüge nicht überwinden. Selbst eine Innovation
wie der norwegische Staatsfond, der Generationengerechtigkeit schaffen soll, neutralisiert
den Ressourcenfluch nicht vollständig und ein entwickeltes Industrieland
wie Australien durchlebt gerade
eine Welle der Deindustrialisierung.
Renten, Zufallsgewinne, windfall-profits sind eine Gegebenheit des Wirtschaftslebens - wie auch Katastrophen, Naturunglücke, Bürgerkriege und Staatsimplosionen - auf die ein gesellschaftlicher Organismus verschieden reagiert. Hier ist eine einfache Klassifikation:
Quelle
Renten, Zufallsgewinne, windfall-profits sind eine Gegebenheit des Wirtschaftslebens - wie auch Katastrophen, Naturunglücke, Bürgerkriege und Staatsimplosionen - auf die ein gesellschaftlicher Organismus verschieden reagiert. Hier ist eine einfache Klassifikation:
Quelle
Mit der
Finanzkrise erhärten sich nun die Indizien, dass ähnliche Prozesse auch
außerhalb des Rohstoffsektors stattfinden. Eine plausible Hypothese ist, dass
erfolgreiche Innovationen wie Schattenbanken und komplexe Finanzprodukte die
bestehenden Regulierungen und Gleichgewichte überwanden und dem Finanzsektor
eine erhebliche Rente ermöglichten – der Finanzfluch. Der Finanzsektor wuchs
besonders in englischsprachigen Ländern auf über 7 % der nationalen
Wirtschaftsleistung auf und konnte bis zu 40% des Gewinns der Volkswirtschaft
vereinnahmen. Wie beim Ressourcenfluch ist der Finanzsektor
überdurchschnittlich attraktiv – die Anfangsgehälter liegen 70 % über dem
Durchschnitt – und saugt Talent vom Rest der Gesellschaft. Es werden immer neue
Argumente und Hypothese hervorgebracht, dass der volks- und
globalwirtschaftliche Nutzen weit hinter den Erwartungen zurückbleibt.
Wieweit gehen
Gemeinsamkeiten des Ressourcenfluchs und des Finanzfluchs? Für den
Ressourcenfluch gilt, dass Staaten über Jahrzehnte Strukturreformen verzögern
können und die Rente aus Rohstoffen parallele Gesellschaftsentwürfe finanziert.
Zwar finden partielle Modernisierungen statt. Sie unterscheiden sich aber
strukturell von Modernisierungs- und Anpassungsprozessen im Westen,
beispielsweise beim Verständnis von Demokratie, Freiheit und den
Menschenrechten.
Seit dem Beginn
der Finanzkrise wurden umfangreiche Bemühungen unternommen, eine
Übereinstimmung der Anreize im Finanzsektor mit volkswirtschaftlichen Kriterien
zu erreichen. Die Erfolge sind bisher wenig überzeugend.
Können die
Erfahrungen des Ressourcenfluches einen analytischen Ansatz bieten?
Siehe auch:
- Andrew Haldane: The contribution of the financial sector – miracle or mirage? http://www.bis.org/review/r100716g.pdf
- Robin Greenwood: The Growth of Modern Finance. July 2012. http://www.people.hbs.edu/dscharfstein/Growth_of_Modern_Finance.pdf
- Eine Übersicht: The Financial Sector Is the Greatest Parasite in Human History
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