John Maynard Keynes

The analysis was in terms of a single national economy. What is desperately needed now is a rewrite in terms of the world economy." (John Maynard Keynes's General Theory of Employment, Interest and Money, 1936)

Sonntag, 9. März 2014

Ressourcenfluch und Finanzfluch


Der „Economist“ wies zuerst auf das Phänomen der Holländischen Krankheit hin, der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit nachdem an der Küste umfangreiche Gasvorkommen gefördert wurden. Mit der Nationalisierung der Förderung von Erdöl und Erdgas in den 1960-er Jahren in Entwicklungsländern weitete sich das Phänomen aus. Der Ressourcenfluch befällt Länder, die anscheinend ausreichend Mittel für die Modernisierung und Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit haben, deren Wachstum und gesellschaftliche Entwicklung aber nicht oder nur sehr unzureichend auf die neu gewonnenen Möglichkeiten reagiert.

Die Mechanismen sind inzwischen mannigfaltig beschrieben: Die hohe, anstrengungslose Wertschöpfung wertet alle anderen Aktivitäten gesellschaftlich ab. Der Export von Rohstoffen erhöht den Wert der Währung auf, was den Import verbilligt und den Export erschwert. Der Rohstoffsektor saugt Talent, Ressourcen und politisches Kapital vom Rest der Wirtschaft und unterminiert ihre Dynamik. Wohlstandswachstum durch Förderung der Rohstoffe ist einfacher als durch Wettbewerbsfähigkeit durch politisch anspruchsvolle und riskante Strukturreformen. Die Volatilität von Rohstoffpreisen und die Abhängigkeit von den Weltmärkten gibt dem kurzfristigen Denken Vorschub und schwächt Anreize für den langwierigen Aufbau von Institutionen und Humankapital. Im jeweiligen Kräftegleichgewicht der politischen Kräfte verstärken sich Asymmetrien. Das nüchterne Resultat ist, dass rohstoffreiche Länder nicht oder nur sehr wenig schneller wachsen als rohstoffarme. 

Bei einem schwachen Staat wie in Entwicklungsländern kann Korruption und Misswirtschaft die Überhand gewinnen. Nigeria ist das klassische Negativbeispiel, wie Ressourcenreichtum ein Land ruinieren kann. Aber selbst ein positives Ausnahmeland wie Botswana fand keine adäquate institutionelle Antwort auf die HIV- Epidemie und musste ein Jahrzehnt Wohlstandszuwachs abgeben. Saudi-Arabien, als globaler Swing-Produzent ein strategischer Partner des Westens, konserviert ein neofeudales Gesellschaftsmodell, den Wahabismus. Venezuela finanziert seine Experimente zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts und ruiniert damit die Grundlage seines Reichtums, die Erdölförderung. Die Mongolei, ein kleines, demokratisches Steppenvolk zwischen den autoritären Giganten Russland und China, wagt mit ungewissem Ausgang den größten Sprung, von der Naturalwirtschaft direkt in die Moderne und vom Nomadentum in die Urbanität.

Weitere Aspekte sind prägend. Pauline Jones Luong und Erika Weinthal zeigen in ihrem Buch Oil Is Not a Curse: Ownership Structure and Institutions in Soviet Successor Statesauf wie unterschiedlichen Pfaden sich rohstoffreiche Volkswirtschaften von einer gemeinsamen Grundlage entwickeln – ohne dass sie sich vom Ressourcenfluch lösen können. Auch lässt sich der Ressourcenfluch innerhalb eines Landes aufzeigen. Die westlichen Gemeinden in den US-Bundesstaaten Colorada, Montana, New Mexiko, Norddakota, Utah und Wyoming durchlebten einen Öl- und Gasboom mit überdurchschnittlichen Zuwachsraten bei der Beschäftigung und den Einkommen und einer negativen Korrelation beim Pro-Kopf-Einkommen, der Kriminalitätsrate und dem Bildungsniveau (paper).

Inzwischen ist eigener Gewerbszweig entstanden, der versucht, den Ressourcenfluch zu kanalisieren und einzudämmen. Dazu gehören Instrumente wie Transparenz und Lizenzen, etwas bei sogenannten Blutdiamanten,die International Corruption Hunters Alliance, die Extractive Industries Transparency Inititiative (EITT), Global Witness oder der Resource Governance Index. Erfolge sind sichtbar, können aber wirtschaftliche Wirkungsgefüge nicht überwinden. Selbst eine Innovation wie der norwegische Staatsfond, der Generationengerechtigkeit schaffen soll, neutralisiert den Ressourcenfluch nicht vollständig und ein entwickeltes Industrieland wie  Australien durchlebt gerade eine Welle der Deindustrialisierung. 

Renten, Zufallsgewinne, windfall-profits sind eine Gegebenheit des Wirtschaftslebens - wie auch Katastrophen, Naturunglücke, Bürgerkriege und Staatsimplosionen - auf die ein gesellschaftlicher Organismus verschieden reagiert. Hier ist eine einfache Klassifikation: 

 Quelle

Mit der Finanzkrise erhärten sich nun die Indizien, dass ähnliche Prozesse auch außerhalb des Rohstoffsektors stattfinden. Eine plausible Hypothese ist, dass erfolgreiche Innovationen wie Schattenbanken und komplexe Finanzprodukte die bestehenden Regulierungen und Gleichgewichte überwanden und dem Finanzsektor eine erhebliche Rente ermöglichten – der Finanzfluch. Der Finanzsektor wuchs besonders in englischsprachigen Ländern auf über 7 % der nationalen Wirtschaftsleistung auf und konnte bis zu 40% des Gewinns der Volkswirtschaft vereinnahmen. Wie beim Ressourcenfluch ist der Finanzsektor überdurchschnittlich attraktiv – die Anfangsgehälter liegen 70 % über dem Durchschnitt – und saugt Talent vom Rest der Gesellschaft. Es werden immer neue Argumente und Hypothese hervorgebracht, dass der volks- und globalwirtschaftliche Nutzen weit hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Wieweit gehen Gemeinsamkeiten des Ressourcenfluchs und des Finanzfluchs? Für den Ressourcenfluch gilt, dass Staaten über Jahrzehnte Strukturreformen verzögern können und die Rente aus Rohstoffen parallele Gesellschaftsentwürfe finanziert. Zwar finden partielle Modernisierungen statt. Sie unterscheiden sich aber strukturell von Modernisierungs- und Anpassungsprozessen im Westen, beispielsweise beim Verständnis von Demokratie, Freiheit und den Menschenrechten.
Seit dem Beginn der Finanzkrise wurden umfangreiche Bemühungen unternommen, eine Übereinstimmung der Anreize im Finanzsektor mit volkswirtschaftlichen Kriterien zu erreichen. Die Erfolge sind bisher wenig überzeugend.

Können die Erfahrungen des Ressourcenfluches einen analytischen Ansatz bieten?

Siehe auch: 

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