John Maynard Keynes

The analysis was in terms of a single national economy. What is desperately needed now is a rewrite in terms of the world economy." (John Maynard Keynes's General Theory of Employment, Interest and Money, 1936)

Freitag, 15. November 2013

Warum Afrika arm ist


In den letzten 50 Jahren wurden vom Westen 2.500 Milliarden Entwicklungshilfe in Afrika geleistet, die gegenwärtigen jährlichen Aufwendungen liegenbei etwa 150 Mrd. USD. Doch scheinbar haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht grundsätzlich verändert. Diese niedrige Effizienz der Verwendung von Steuergeldern ist auf den ersten Blick enttäuschend. Ursachen und Schlussfolgerungen sind immer wieder  Gegenstand von Diskussionen.

So sieht zum Beispiel der amerikanische Ökonom William Easterly  eine positive Korrelation zum Wirtschaftswachstum bei folgenden Faktoren: tiefe Korruptionsrate, demokratische Verhältnisse, freies Unternehmertum, die Möglichkeit, Firmen zu gründen, politischen Reformen, eine dezentrale Problemlösung, Rechtssicherheit, Eigentumsrechte. Die Liste lässt sich (fast beliebig) fortsetzen. Jeffrey Gadmin schreibt: „It’s governance and the rule of law, stupid.“ In Deutschland wird die gute Regierungsführung thematisiert. Bis heute sind die internationalen Organisationen mehr oder weniger um den Washingtoner Konsensus strukturiert, trotz aller bewiesenen Ineffizienzen.

Nun sind Korrelation keine Kausalitäten. Wer würde sich nicht eine demokratische, transparente, effektive Regierung wünschen, die mutig und handwerklich geschickt Strukturreformen nach rechtsstaatlichen Prinzipien voranbringt und durch Attraktivität für in- wie ausländische Investoren steigenden Wohlstand und Wachstum generiert. Dies gilt für alle Staaten, nicht nur für Entwicklungsländer. Aber gesellschaftliche Prozesse entwickeln sich nur in der Ausnahme linear. Kontext ist in Zeit und Raum verschieden. Nach Maßstäben der Effektivität zeigen 50 Jahre westliche Entwicklungshilfe kaum messbare  Erfolge, was auch als Beweis für die fehlende Wirksamkeit von allgemeinen Rezepten der wirtschaftlichen Entwicklung interpretiert werden kann.

Wenn es nicht einzelne Faktoren sind, warum ist Afrika arm? Eine nicht triviale Erklärung ist, dass Afrika ein Verlierer der Globalisierung ist. So, wie die natürlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen in einigen Ländern und Regionen der Welt sich durch eine glückliche Fügung ergänzen und spektakuläre Durchbrüche ermöglichen, so hat Afrika wiederholt historisches Pech und steht auf der anderen Seite des zivilisatorischen Fortschritts, ist Teil des Ganzen ohne Zugang zu den Früchten zu haben. Schon 1993 veröffentlichen Easterly, Kremer, Pritchet und Summers die Erkenntnis, dass historisches Glück und das vorherrschende technologische Paradigma die wichtigsten Determinanten für das langfristige Wachstum sind. Historiker sehen die Ursache für wirtschaftliche Unterschiede in den Auswirkungen von Schocks auf Staaten mit verschiedener Struktur. 

Dies soll an den folgenden Beispielen illustriert werden.

Der Beginn: Fehlendes Wachstumspotential europäischer Innovationen
Nach den Großen Geographischen Entdeckungen integrierte sich Afrika in den entstehenden Weltmarkt und baute den seit Jahrhunderten praktizierten Export von Sklaven aus. Streng nach der Theorie der komparativen Arbeitsteilung steigerte der Handel den lokalen Wohlstand. Aber: Geographie, Klima und Krankheiten verhinderten eine profitable Anwendung europäischer Technologien zur  Wohlstandsmehrung. Die Sterblichkeit potentieller weißer Investoren war hoch, mit der Ausnahme Südafrikas die klimatischen Bedingungen fremd und unproduktiv. Nur Waffen waren vom Nutzen und dienten zur Ausweitung von Macht, Ressourcen und Einfluss. Die unbeabsichtigte Folge der Intensivierung des Sklavenhandels war die Entvölkerung weiter Landstriche, was teilweise bis heute  Schatten wirft. Der frappierende Unterschied zu Afrika war der nordamerikanische Kontinent. Hier waren die europäischen Technologien passend, die Nachfrage des  Weltmarktes nach Baumwolle und Zucker hoch und extrem profitabel. Arbeit und Investitionen lohnten sich. Die in Europa schon lange ineffiziente Sklaverei wies bis zum Bürgerkrieg 1861-65 auf den Plantagen der Südstaaten eine höhere Produktivität als Industriearbeit auf.
Als Sklaven global geächtet wurde, traf dies den amerikanischen Südstaaten wie Afrika hart, aber in den USA kompensierte die geradezu explodierende Industrie die Verluste des siechenden Südens. Afrika blieb ebenfalls zurück, es konnte nicht annähernd ein ähnlich effektives Wirtschaftsmodell finden. Es war der Verlierer der ersten Runde der Globalisierung. Was bleibt sind die Erinnerungen über verblichenen Reichtum und Macht und architektonische Denkmäler in Ost- und Westafrika mit einem gewissen touristischen Wert.

Die Einbettung in die globale Pyramide: Deindustrialisierung und Bevölkerungswachstum
Nach Jahrhunderten an Investitionen und gesellschaftlichen Innovationen überwand die industrielle Produktionsweise ihre Kinderkrankheiten und begann um 1800 ihren globalen Siegeszug. Der Vorsprung des Westens wuchs sich zu einem überwältigenden Wettbewerbsvorteil aus. Als Folge wurde die beginnende industrielle Produktionsweise im Rest der Welt, von Indien bis China, vom Markt gefegt. Bis auf die westlichen Kernländer deindustrialisierte die Welt, wurde zum Absatzmarkt der industriellen Güter des Westens und seine Rohstoffquelle. Noch bevor die Welt sich in eine armen und reichen Teil trennte, spalteten sich die Anreize: Innovationen im Westen waren kosteneffizient, befeuert durch globale Absatzmärkte und billige Rohstoffe. Investitionen in einen modernen Staat und das Humankapital bauten den Wettbewerbsvorteil weiter aus. Für den Rest der Welt war die Teilnahme an den ständig wachsenden Strom westlicher Errungenschaften nur durch den Export von Rohstoffen möglich, der Ausweitung der bestehenden Produktion. Innovationen hatten keine  vergleichbare wirtschaftliche Effektivität. Dies stabilisierte bestehende und zunehmend veraltete Machtverhältnisse. Auch Investitionen in das Humankapital waren nicht effizient, Quantität war wichtiger. Mit den industriellen Fertigwaren importierte der Rest der Welt Bevölkerungswachstum, zumal Malthusianische Beschränkungen aufgrund verbesserter Ernährung nicht mehr bestanden. Menschen sind rationelle Wesen, sie zogen das Bevölkerungswachstum dem  Produktivitätswachstum vor. Hatte Afrika in der ersten Globalisierungsrunde einfach Pech, so wurde es nun auf der untersten Stufe der globalen Wertschöpfung eingebettet. Seine Möglichkeiten, eigenständig Akzente zu setzen, sanken auf ein minimales Maß.

Politische Unabhängigkeit: Fortsetzung unter neuem Vorzeichen
Mit dem Erlangen der politischen Unabhängigkeit änderte sich vorerst wenig an den wirtschaftlichen Tatbeständen. Die Entwicklungshilfe trat auf die Bühne, ein genauso innovatives wie umstrittenes staatliches Instrument, dass eine Gratwanderung zwischen erratischen wirtschaftlichen Interessen und nicht weniger dynamischen Wertvorstellungen der Geber beschreibt, dass genauso Vorform eines globalen Wohlfahrtsstaates wie Instrument zur Durchsetzung bestehender globalwirtschaftlicher wie geopolitischer Interessen ist.  Bei der Behandlung von Symptomen von Armut sieht die Bilanz gut aus. Es bestehen beeindruckende Ergebnisse im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen. Die Milleniumsziele formulierten erstmalig globale soziale Standards. Heute ist das Spektrum der Entwicklungshilfe weit gefächert, von technokratischen Lösungsansätzen wie Jephrey Sachs' Milleniumsdörfer bis zur Subventionierung von Beratungsleistungen für die ärmste Bevölkerung a la Banerjee und Duflo.

Neue globale Arbeitsteilung, neue Chancen
In den letzten 20 Jahren entstand eine neue globale Arbeitsteilung, zwischen arbeits- und investitionsintensiven Tätigkeiten in Schwellen- und Entwicklungsländern und der entstehenden Wissens- und Servicegesellschaft der reichen Staaten. Afrika differenzierte sich weiter aus. Das Bevölkerungswachstum hat in den meisten Ländern seinen Höhepunkt überschritten, nach  200 Jahren erreichte der Paradigmenwechsel die ganze Welt. Ressourcenreiche Länder profitierten vom Superzyklus bei den globalen Rohstoffpreisen; die Anstrengungen wurden intensiviert, dem Ressourcenfluch zu begegnen, von der Transparenzregelung im Erdölsektor bis zur Zertifizierung von Blutdiamanten. Die Informationstechnologien senkten den Investitionsbedarf und wurden für breite Schichten erreichbar, teilweise bis in die Subsistenzwirtschaft. Neue Phänome entstanden, so das mobile Internet, das  selbst dem Hirten in der Savanne potentiell mehr Informationen zur Verfügung stellt als  Entscheidungsträgern vor wenigen Jahren hatten.

Armut ist mehr denn je ein komplexes und relatives Phänomen. Der bestehende globale Reichtum reicht aus, um die Grundbedürfnisse vollständig zu befriedigen. Es sind Asymmetrien in den bestehenden wirtschaftlichen Interessen, dass es 800 Millionen Menschen mit Fehl- und Unterernährung gibt und 30 Millionen Menschen in sklavenähnlichen Verhältnissen leben. Die Verteilung des global geschaffenen Wohlstands, die Risiken zu seiner Mehrung wie auch die Ressourcen für Innovationen sind  ungleich verteilt. Sie sind das Resultat von höchst unterschiedlichen Anforderungen bei technologischen und gesellschaftlichen Innovationen wie von Verkrustungen und Ungerechtigkeiten. 

Beispielsweise reflektieren internationale Institutionen das Kräfteverhältnis der Welt von der Mitte des 20. Jahrhunderts, als entwickelte Staaten für 80 % der globalen Wertschöpfung verantwortlich zeichneten. Heute sind es nur noch 50 %. Oder: nach den bestehenden Investitionsschutzabkommen kann ein Unternehmen die südafrikanische Regierung verklagen, wenn die Gewinne durch staatliche Programme berührt werden, die auf die Überwindung der Altlasten der Apartheid zielen. Auch Migration kann den Wohlstand in den Entwicklungsländern unmittelbar und massiv erhöhen. Wie auch in der Vergangenheit setzt Unterkonsumtion eines Teils der globalen Bevölkerung Ressourcen für Wachstum und Innovationen für einen anderen Teil der Bevölkerung frei, wobei, wie das Mobiltelefon zeigt, vollständig neue Wachstumsmöglichkeiten entstehen.  

Es bleibt nur die Gewissheit, dass es einfache Antworten auf gesellschaftliche Phänomene wie die Armut in Afrika nicht gibt. Jede Vereinfachung zeigt eher politischen Überzeugungen als dass nun der goldene, der einzig richtigen Weg zur Überwindung von Armut gefunden wurde.  Vielleicht wäre ein weniger spektakulärer, aber erfolgversprechender Ansatz zu sagen, dass Armut das Resultat von widersprüchlichen Trends ist und es um Fragen der Abwägung und Bewertung in einer zusammenhängenden Welt geht. 

Update: Ein Überblick zum historischen Denken über Armut ist hier

Update 4. Mai 2014. Ein Überblick der Ressourcenströme. Es fließen erheblich mehr Mittel aus den Entwicklungsländern als in die Entwicklungsländer. Solange die Bilanz in diesem Maßstab negativ ist, kompensiert die Entwicklungshilfe nur einen geringen Teil der Verluste. Historisch vielleicht vergleichbar mit der mittelalterlichen Mildtätigkeit, durchaus notwendig, aber auch systemstabilisierend, nicht systemverändernd.
Quelle

1 Kommentar:

  1. Entschuldigung, aber wo soll man sehen, dass erheblich mehr Geld aus den Entwicklungsländern fließt als hinein. Inflow bedeutet ja wohl, dass das Geld in die Entwicklungsländer fließt, oder ist das genau anders rum gemeint? Denn auf der Grafik sehen die Balken links einfach optisch größer aus.

    Eine Erklärung zur Grafik wäre schön! Zumal diese auf englisch ist. Denn, obwohl ich relativ gut englisch spreche, sagen mir die ganzen Begriffe nichts! Und ich will nicht jeden einzeln googeln!

    Sonst ist die Grafik ja sehr detailliert und bestimmt auch wichtig und interessant, sofern man sie denn auch versteht.

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